In jedem Magazin der People&Work wird eine problembehaftete Situation im Businessmanagement vorgestellt und zwei erfahrene Fachkräfte aus der Praxis nach ihren Lösungsideen gefragt. Für die nachstehende Situation stifteten Alexandra Bielecke von KiO und Heiko Aland von HUK-Coburg Ideen, wie der unbewegliche Leiter einer Business Unit den erforderlichen Neuerungen gegenüber aufgeschlossen werden kann.
Was bisher geschah – Fallstudie aus der Praxis
(Auszug aus der People&Work 3/2001)
Weil er die Erfolgsrezepte früherer Jahre unablässig für die Zukunft propagiert, hat man Clemens Oberlin heimlich den Spottnamen „Professor Hawisisog“ verliehen – „haben wir schon immer so gemacht“. Die aus dem Sport bekannte Weisheit „Never change a winning team“ hat der Senior Vice President und Global Executive Director der umsatzstärksten Sparte eines Konsumgüterherstellers längst als sein Motto verinnerlicht: „Never change my well proven ideas.“
An dieser Devise, Oberlin bezeichnet sie als nachhaltig, hatten sich schon mehrere Manager- und Beratergenerationen die Zähne ausgebissen und das Unternehmen mit Stammsitz in Dortmund wieder verlassen, selten freiwillig. Besonders seine Marketingkonzepte haben sich seit dem Studium in den 1980er-Jahren nicht verändert. Wobei er stolz erzählt, er hätte die Absatzwirtschaft von der Pike auf gelernt: „Gleich nebenan in Münster!“
Das Problem: was jetzt klemmt
„Vergiss es!“, sind die einhelligen Ratschläge wohlmeinender Kollegen und Kolleginnen, als Hülya Eraydın, seit Kurzem die Produktmanagerin für Körperpflegeprodukte, eine neue Pricing-Strategie ins Gespräch bringt. Oberlin sei keiner, den man ab und an schon überzeugen könne. Er wäre eben der Professor Hawisisog, zugänglich für frische Ideen wie ein Murmeltier im Winterschlaf.
Eraydın plädiert dennoch für ein endlich ernst gemeintes Value Pricing und dabei besonders für die Einführung neuer Produktversionen und Verpackungsgrößen, basierend auf einer psychologischen Bedarfsanalyse: „Es ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung, die Bedürfnisse unserer Zielgruppen und deren Gründe für die Kaufentscheidung zu kennen. Und zwar die Needs der Kunden in den 2020er-Jahren.“
Doch für diese Analyse braucht sie ein Budget und dies muss Oberlin freigeben. „Das ist nur rausgeworfenes Geld, wird unser Professor sagen“, hört Eraydın als Prophezeiung aus dem Kollegenkreis. „Mach lieber alles so wie bisher, das liebt er und damit auch dich“, geben sie ihr als freundlich gemeinten Tipp.
Wer die Lage nüchtern betrachtet, kann Oberlin wenig vorwerfen. Die Umsätze seiner Sparte sind stetig gestiegen, in den meisten Jahren sogar etwas über dem Branchendurchschnitt. Völlig daneben kann er demnach nicht liegen, selbst wenn Oberlin auf den Konferenzen der Marketingszene keinen Beifall ernten würde. Denn wer verkauft heute noch „Cost plus“? Wie aber kann Eraydın ihre Vorstellungen und Budgetwünsche bei Oberlin platzieren, bei dem – wie der Change-Papst John Kotter sagen würde – der „sense of urgency“ nicht vorhanden zu sein scheint?
Unser Vorschlag: Bewusster Perspektivwechsel
Auch wenn Hülya Eraydıns kollegiales Umfelds ihr davon abrät, mit ihrer Idee an Clemens Oberlin heranzutreten, sollte sie die Flinte nicht zu früh ins Korn werfen. Die Rückmeldungen über bisherige Fehlversuche sind vielmehr wertvoll für einen neuen Anlauf. Dann wird sie die bisher offenbar dysfunktionalen Strategien meiden. Interessant ist es deshalb zu erkunden, wie andere bislang vorgegangen sind, um sich bei Oberlin Gehör zu verschaffen.
Gefahr der Polarisierung wichtiger Werte
Sodann ist es gut, sich die Polarisierungsgefahr zu verdeutlichen, die schon in der Namensgebung „Professor Hawisisog“ erkennbar wird. Die Bezeichnung spiegelt die Sorge der Kolleg*innen wider, ähnlich wie Kodak, Quelle oder Nokia den Anschluss zu verpassen. In allen drei Unternehmen haben erfahrene Manager das Innovationspotential von Wettbewerbern unterschätzt und sind durch zu spätes Handeln hinter ihnen zurückgeblieben.
Bei Clemens Oberlin handelt es um einen ausgesprochen erfahrenen Manager mit einer anerkannten Position im Unternehmen. Er führt seinen Bereich seit vielen Jahren erfolgreich. Dass er sich auf bewährte Strategien und Konzepte beruft, ist aus seiner Perspektive nachvollziehbar und spiegelt seinen Erfahrungsschatz wider.
Sich mit innovativen Ideen auseinanderzusetzen, darf deshalb nicht als Gegensatz formuliert, nicht als entweder – oder empfunden werden. Denn wer täglich auf ein neues Pferd setzt und hektisch jedem Trend unreflektiert hinterherläuft, verpulvert wiederum genauso Zeit, Geld und die Motivation der Kolleg*innen. Auch die Innovationsfreude und -bereitschaft hat demzufolge eine Schattenseite.
Beide Grundhaltungen sollten gleichberechtigt (wie im nachstehenden Werte- und Entwicklungsquadrat verdeutlicht) nebeneinanderstehen und sich idealerweise ergänzen dürfen. Ziel der Gespräche mit Herrn Oberlin sollte sein, innovative Ideen zu platzieren, ohne die Erfahrung von Herrn Oberlin zu entwerten.
Der Ton macht die Musik
Den nachweislich größten Effekt auf eine erfolgreiche Gesprächsführung hat die Vorbereitung. Das Kommunikationsquadrat von Friedemann Schulz von Thun kann hierfür als Blueprint dienen.
Empfehlenswert ist es, Fakten und Erkenntnisse aus der Forschung für die neuen Vorgehensweisen und ein entsprechendes Benchmarking für vergleichbare Produkte möglichst objektiv und ungeschönt aufzuschlüsseln (Sachinformation) und dabei mit den praktischen guten eigenen Erfahrungen anzureichern sowie die Befürchtungen offen zu legen (Selbstkundgabe).
Die Beziehungsseite spielt eine besonders wichtige Rolle. Ein bewusster Perspektivwechsel kann hier helfen: Welche seiner bisherigen Vorgehensweisen kann sie ernsthaft schätzen? Auf welchen konkreten Erfahrungswerten und Daten baut er auf? Was sind seine größten Erfolge? Was ist ihm wichtig? Und was davon kann sie authentisch und mit tatsächlicher Wertschätzung aussprechen. Der Appell sollte zunächst keine Forderungen enthalten, sondern ein offenes Ohr für seine Sichtweise signalisieren.
Was mit ziemlicher Sicherheit schiefgeht und deshalb nicht ratsam ist, wäre die Präsentation von Zahlen, Daten und Fakten des neuen Vorgehens (Sachseite). Implizit würde sie damit das bisherige Vorgehen entwerten. Auf der Beziehungsseite gilt dasselbe für das „Alter-weißer-MannSyndrom“ verbunden mit dem Appell, unbedingt ihre Überzeugung zu teilen.
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