In unserem Glossar stellen wir Ihnen zentrale Begriffe, Techniken und Methoden vor, die für eine Mediation im Stil der Klärungshilfe von Bedeutung sind. Wir hoffen, Ihnen dadurch wertvolle Anhaltspunkte für die weiterführende Auseinandersetzung mit den Hintergründen der Mediation anzubieten. Hierzu gehen wir insbesondere auf die Modelle der Hamburger Kommunikationspsychologie ein. Sie stellen das Fundament für die Klärungshilfe dar sowie für das Menschenbild als Mediator:in.
Da wir unser Glossar kontinuierlich erweitern und aktualisieren, lohnt es sich, regelmäßig vorbeizuschauen. Neue Begriffe, vertiefende Erklärungen und weiterführende Denkanstöße lassen eine lebendige Wissensquelle für alle entstehen, die sich professionell oder interessiert mit Mediation und Konfliktklärung beschäftigen. Fehlt Ihnen ein Begriff? Dann geben Sie uns gerne einen Hinweis.
Eine Grundvoraussetzung für das Zusammenleben – aber auch eine Frage der Grenze
Akzeptanz ist der Schlüssel für ein harmonisches Zusammenleben in einer vielfältigen Gesellschaft. Sie ermöglicht es, Unterschiede zu respektieren, Brücken zwischen Meinungen und Lebensweisen zu bauen und ein Fundament des Respekts und der Zusammenarbeit zu schaffen. Doch wie weit kann Akzeptanz gehen? Und wann wird sie zu einer Belastung?
Wir leben in einer Welt, die von Diversität geprägt ist – sei es kulturell, sozial, politisch oder individuell. Akzeptanz bedeutet nicht, alles gutzuheißen, sondern andere Sichtweisen zu respektieren, auch wenn sie von den eigenen abweichen. Sie ist der erste Schritt, um Dialog zu fördern. Sie ist damit gleichermaßen ein Grundbaustein für die Verständigung wie eine zwischenmenschliche Zumutung.
Denn Akzeptanz hat Grenzen – und das ist wichtig. Kein Mensch sollte gezwungen werden, Überzeugungen oder Verhaltensweisen hinzunehmen, die gegen die eigenen Werte oder das eigene Wohlbefinden verstoßen – wie insbesondere Diskriminierung oder unangemessene persönliche Annäherungen. In Situationen, in denen wir erleben, wie die Würde gegenüber einer oder mehreren anderen Personen verletzt wird, sind wir gefordert, die Grenze aufzuzeigen und ggf. klare Maßnahmen einzuleiten.
Zugleich treffen wir täglich auf verschiedene Persönlichkeiten und damit auch individuelle Maßstäbe für ein gelingendes Zusammenarbeiten und -leben. Arbeitsweisen, Strategien zur Erreichung eines gemeinsamen Projektziels oder auch der Umfang des Austauschs im Team können sich so unterscheiden, dass eine Person das Verhalten der anderen als unprofessionell empfindet.
Dabei ist ein strukturiertes Arbeiten beispielsweise hervorragend für Prozesse, Deadlines und Organisation geeignet. Während kreativer Freiraum innovative Ideen und unkonventionelle Lösungsansätze hervorbringt. Die Kombination beider Stärken kann eine gewinnbringende Kraft entfalten – sie kann aber auch im täglichen Miteinander zu unerträglichen Reibungsverlusten führen.
Hilfreiche Fragen für Teams lautet dann:
Wie schaffen wir es, eine Balance zwischen Akzeptanz für die Unterschiede und der Wahrung unserer eigenen Grenzen zu finden?
Was bin ich also bereit zu akzeptieren, und wo sind meine roten Linien?
Wie kommuniziere ich meine Grenzen, ohne den Raum für gegenseitigen Respekt zu zerstören?
Welche Prinzipien möchten wir als Gesellschaft, als Organisation, als Team wahren, um ein respektvolles Miteinander zu fördern?
Es ist unvermeidbar, dass Akzeptanz manchmal auf die Probe gestellt wird. Doch gerade dann ist es wichtig, zwischen einem gesunden Maß an Toleranz und der Notwendigkeit, klare Grenzen zu setzen, zu unterscheiden. Der Umgang mit unterschiedlichen Arbeitsstilen und Vorlieben erfordert Verständnis, Kommunikation und eine gezielte Förderung von Diversität im Team - und die Ausgestaltung des Zusammenlebens und -arbeitens erfordert regelmäßige Aufmerksamkeit und Gestaltung.
„Die Illusionen von heute sind die Katastrophen von morgen“, schreibt Christoph Thomann. Am Anfang eines Mediationsprozesses will deshalb genauestens auf Herz und Nieren geprüft werden, ob eine Mediation zu diesem Zeitpunkt, für diesen Konflikt, für diese Mediand:innen und in dieser Besetzung mit dieser:m Mediator:in das (am besten) geeignetste Verfahren ist.
Um den Abwägungsprozess zu erleichtern, stellen wir beratend Fragen, die zur (Selbst-)Reflexion anregen. Diese Fragen und das Gespräch unterstützen den Erkenntnisgewinn und die Abwägung, wie hoch der mögliche Nutzen angesichts der befürchteten Kosten sein könnte.
Ziel zu Beginn der Klärungsgespräche ist es daher,
- bei den Konfliktbeteiligten Vertrauen in das Verfahren und die Mediatorin zu entwickeln
- die Bereitschaft zu steigern, sich mit den eigenen Konfliktthemen in das Gespräch einzubringen, sich mit den eigenen Gedanken, Befürchtungen und Erlebnissen einzubringen und über den eigenen Schatten zu springen, sich auch mit der Perspektive des Konfliktgegenübers intensiv auseinanderzusetzen
- ein Beziehungsnetz zu allen Beteiligten knüpfen und Verabredungen zu treffen, wie und unter welchen Bedingungen miteinander gesprochen wird.
Die gemeinsam getroffene Verabredung zur Aufnahme der Gespräche (ggf. schriftlich festgehalten) verstehen wir als Arbeitsbündnis.
Die Auftragsklärung hat für das Gelingen einer Mediation eine wichtige Schlüsselfunktion. In dieser ersten Phase eines Klärungsgesprächs werden die Weichen gestellt, damit sich Menschen einlassen können und damit die Mediation folglich überhaupt gelingen kann. Als Mediator:in können wir Vieles dafür tun, um Konfliktbeteiligten den Einstieg zu erleichtern. Zugleich gibt es Grenzen, die in dem Verfahren selbst bestehen, die in den Konfliktbeteiligten liegen oder auch durch die Mediatorin vorgegeben sind.
Die größte Verlockung besteht darin, zu schnell über die organisatorischen Aspekte hinweg zu gehen und in die eigentliche Klärung mit einer Themensammlung einzusteigen. Doch bevor explizit über den Konflikt und dessen Inhalte gesprochen wird, sollte zunächst die Wahrheit der Situation besprochen und Verständnis für die Ausgangslage entwickelt werden:
- Was spricht gerade jetzt dafür, eine Mediation / ein Klärungsgespräch zu beginnen?
- Wer ist beteiligt? Welche organisatorische Einbindung können Sie mir für mein Verständnis von Ihrer Organisation geben?
- Was versprechen Sie sich von einer Klärung? Was ist für Sie dann anders, wenn das Gespräch gelungen ist?
- Was passiert, wenn die Mediation nicht gelingt? Welche Lösungen schweben Ihnen dann vor?
- Worüber sollte unbedingt gesprochen werden? Was würden Sie lieber nicht besprechen?
- Wie sehen Sie Ihre Rolle am Zustandekommen der Situation?
Eine der wichtigsten Aufgabe in dieser Phase der Mediation besteht darin, Brücken für einen Einstieg in das Verfahren der Mediation zu bauen. Gute Fragen ermöglichen der Mediatorin, einen ersten Einblick in die Situation zu gewinnen sowie allen Beteilten eine Entscheidungsgrundlage für oder gegen das Verfahren zu eröffnen.
Zudem erhalten die Beteiligten Klarheit über das Vorgehen sowie über die Rahmenbedingungen (wie z.B. die "Friedenspflicht", Vertraulichkeit des Verfahrens, die Informiertheit bei Entscheidungen und eine damit möglicherweise einhergehende rechtliche Beratung, die Konstellation, in der das Gespräch (nur) stattfinden kann). Über den Ort der Klärung, die Zusammensetzung sowie die Finanzierung sollte am Ende des Gesprächs ebenfalls Klarheit bestehen.
Sollten die Konfliktbeteiligten durch unsere Fragen bereits zu einem frühen Zeitpunkt in der Mediation neue Erkenntnisse über den Konflikt, über sich selbst oder ihr Gegenüber gewonnen haben, laden diese „Quick Wins“ zusätzlich zu einer Fortsetzung der Gespräche ein.
Bedürfnisse im Dialog: Wunschkonzert oder Eigenregie?
Die Berücksichtigung von Bedürfnissen spielt eine zentrale Rolle in der Mediation. Sie sind DIE Antriebskräfte für unser Handeln und DIE Grundlage dafür, wie wir uns fühlen. Die Antwort auf die Frage, wer für die Erfüllung unserer Bedürfnisse zuständig ist, ist so einfach wie komplex und birgt Fallstricke.
- Was sind Bedürfnisse?
Sie sind fundamentale, universelle Antriebe unseres Verhaltens. Sie wirken oft unbewusst und unterscheiden sich von Wünschen, die konkreter und situativer sind. Nach Marshall B. Rosenberg, Begründer der Gewaltfreien Kommunikation, umfassen grundlegende Bedürfnisse Kategorien wie Sicherheit, Autonomie, Zugehörigkeit, Anerkennung und Sinn.
In der Mediation dienen Bedürfnisse als tieferliegende Erklärungsmuster für Positionen und Forderungen. Konflikte entstehen häufig, wenn Bedürfnisse unerfüllt bleiben oder als unvereinbar wahrgenommen werden.
- Wer trägt die Verantwortung für ihre Erfüllung?
Die Verantwortung für die Erfüllung eines Bedürfnisses liegt grundsätzlich bei der Person selbst, die das Bedürfnis empfindet. Es ist eine individuelle Aufgabe, Strategien zu entwickeln, um eigene Bedürfnisse zu erkennen und nach Möglichkeit zu erfüllen, ohne dabei die Autonomie oder Freiheit anderer einzuschränken.
Beziehungen können jedoch auf gegenseitiger Unterstützung basieren. Hier entsteht eine ethische Verantwortung, auf die Bedürfnisse des Gegenübers einzugehen, soweit dies ohne Selbstaufgabe möglich ist. In der Mediation gilt: Die Parteien sind eingeladen, die Perspektive der anderen Seite zu verstehen und nach Lösungen zu suchen, die sowohl ihre eigenen als auch die Bedürfnisse des Gegenübers berücksichtigen.
- Verführerische Bedürfnisse: Die Gefahr der Externalisierung
Einige Bedürfnisse neigen dazu, mit Forderungen an das Gegenüber verbunden zu werden, was Konflikte verschärfen kann:
Anerkennung und Wertschätzung: Das Bedürfnis nach Anerkennung kann leicht in die Erwartung münden, dass das Gegenüber diese aktiv erfüllt. Diese Externalisierung birgt die Gefahr von Abhängigkeit und Frustration, wenn das Gegenüber die Erwartung nicht erfüllt.
Sicherheit: Besonders in emotional geladenen Konflikten wird Sicherheit häufig in einer Weise eingefordert, die die Autonomie der anderen Partei gefährdet (z. B. Kontrolle oder Rückzug als Bedingung).
Liebe und Zugehörigkeit: Solche Bedürfnisse sind oft emotional aufgeladen und können die Erwartung beinhalten, dass das Gegenüber „genug“ investiert, was zu Missverständnissen und Schuldzuweisungen führen kann.
In Konfliktgesprächen liegt die Herausforderung darin, ein Bewusstsein für diese ungünstige "Kopplung" zu schaffen und die Parteien zu unterstützen, (wieder) Verantwortung für sich zu übernehmen.
Was wirklich zählt: Überraschende Erkenntnisse über Glück, Beziehungen und den Umgang mit Konflikten
Stelle dir vor, du bist auf deinem 80. Geburtstag und hältst eine Rede über dein erfülltes Leben. Was würdest du deinen wesentlich jüngeren Familienmitgliedern (im übertragenen Sinne deinem jüngeren Selbst) raten? Worauf sollten sie achten, damit sie ein ebenso langes und glückliches Leben leben wie du?
Diese Frage ist eine beliebte Frage aus Trainings, die sich mit Zeitmanagement oder dem Entwurf von Lebenszielen befassen. Über den Perspektivwechsel sollen uns Priorisierungen leichter fallen, mögen wir also herausfinden, was uns wirklich wichtig ist in unserem Leben. Doch viele tun sich mit dieser Übung schwer. Wer möchte schon jetzt ans Ende seines Lebens reisen? Doch wie kommen wir zu Antworten auf diese Fragen: Was ist mir wichtig: Arbeit? Erfolg? Familie?
Unterstützung bietet eine beeindruckende Studie über die „Entwicklung des Erwachsenenlebens“. Sie zählt zu den bedeutendsten Langzeituntersuchungen unserer Zeit. Mehr als 80 Jahre wurden 724 Männer im Verlaufe ihres Lebens begleitet. Jahr für Jahr befragten sie mehrere Generationen von Forscher*innen einmal im Jahr über ihre Arbeit, ihr Famlienleben und ihre Gesundheit. Zusätzlich wurden Daten aus ihren Krankenakten abgeglichen mit Blutuntersuchungen sowie weiterer medizinischer Datenpunkte. Zwischenzeitlich wurden die Ehefrauen in die Studie aufgenommen und die über 2.000 Kinder dieser Menschen ebenfalls. 60 Menschen aus dieser ursprünglicen Kohorte leben nach wie vor und nehmen weiterhin an dieser Studie teil.
Die Antwort, die die Gruppe der Forschenden aus dieser Vielzahl von Angaben schließlich fand, überrascht vielleicht: Es sind nicht Geld, beruflicher Erfolg oder Ruhm, sondern die Qualität unserer Beziehungen.
Menschen, die einsamer sind, als es ihnen selbst lieb wäre, seien weniger glücklich, ihre Gesundheit verschlechtere sich im mittleren Alter, ihre Gehirnfunktion lasse eher nach und sie sterben früher. Vor dem Hintergrund, dass wir auch in Deutschland vermehrt beobachten, dass sich ältere Menschen, aber auch bereits Jugendliche einsam fühlen, ist dies auch eine mahnende Erkenntnis.
Ein wesentlicher heilsamer Faktor ist laut der Studie die Qualität enger (nicht unbedingt vieler) Beziehungen mit vertrauten Menschen. Gute Gespräche über kritische Themen gehören dazu. Keine Beziehung verläuft zu jedem Zeitpunkt und zu jedem Thema ohne Auseinandersetzung. Wichtig war jedoch das Gefühl, sich trotz unterschiedlicher Meinungen in schweren Zeiten auf die andere Person verlassen zu können. Ständig im Konflikt zu leben, ist wiederum schlecht für die Gesundheit.
Die Antwort ist also so einfach, wie kompliziert: Sich auf Menschen einzulassen, sich auch einmal zu streiten, sich jedoch immer wieder zusammenzufinden, ist das Wichtigste, um das wir uns in unserem Leben kümmern sollten. Eine lebenslange Aufgabe, die uns glücklich macht und gesund hält.
Das Doppeln ist eines unserer wichtigsten Handwerkszeuge in der Mediation (insbesondere nach der Methode der Klärungshilfe). Sie kommt vor allem im Kernstück des Klärungsgespräch zum Tragen, im sogenannten Dialog der Streitbeteiligten.
Beim Doppeln handelt es sich um eine Art Übersetzung von schwierigen Gesprächsinhalten. Stellvertretend für die Parteien bringt ein:e Klärungshelfer:in zum Ausdruck, wie gerade ums Herz ist, worüber sie sich ärgert, wovon sie enttäuscht ist, wie sie sich durch eine bestimmte Handlung von ihrem Gegenüber missachtet oder benachteiligt gefühlt hat. Sie verwendet dafür Formulierungen, die der inneren Wahrheit der gedoppelten Konfliktpartei entspricht, aber für das Gegenüber annehmbarer wird.
Die Klärungshelferin fühlt sich ein und spricht aus, wie innerlich zumute ist, was schwer zu verkraften ist und dem Gegenüber zunächst angelastet wird. Die Konfliktbeteiligte, die gerade gedoppelt wird, hört währenddessen zu und erfährt eine Erleichterung ihrer unangenehmen und manchmal negativen Gefühle.
Das Gegenüber nimmt die Worte der Klärungshelferin ebenfalls wahr und wird in die Lage versetzt, wirklich zuzuhören. Es ist zugleich eine Einladung, den eigenen Anteil am Konflikt zu erkennen und ihn zu akzeptieren, hierfür Verantwortung zu übernehmen.
Der Dialog der Streitbeteiligten wird durch das Doppeln an wichtigem Stellen verlangsamt und vertieft. So kann ausgesprochen werden, was die Beteiligten bislang nur vermuteten oder befürchteten. Unangenehme Hypothesen können überprüft werden: War es wirklich so gemeint, wie es bei mir ankam? War es dem Gegenüber bewusst, wie das bei mir angekommen ist? Sollte es gar bei mir so ankommen und wie kam das?
Die verletzenden Angriffe und die kraftvolle Verteidigung treten mit der Zeit des Dialogs und des Doppelns in den Hintergrund und das Sprechen über einzelne Handlungen, deren Hintergründe und Motive tritt in den Vordergrund. Die Beteiligten spüren nach, bevor sie antworten, reflektieren das Gehörte. Das Verständnis füreinander kann reifen.
Durch das Doppeln wird der Dialog vollständiger, die verschiedenen Erlebnisse werden für alle Beteiligten nachvollziebarer, fehlende Puzzlesteinchen bei sich und beim Gegenüber hinzugefügt. Die Beteiligten erhalten eine Klarheit darüber, was geschehen ist und welchen Anteil sie beigetragen haben, erhalten eine Rückmeldung, wie eigenes Verhalten wirkt und wie es aufgefasst wird. Die Beteiligten nehmen Bezug zueinander, sprechen über die Beziehung und über die dazu gehörenden Gefühle. Sie gehen wieder in den direkten Kontakt.
Unter Ergebnisoffenheit verstehen wir eine unvoreingenommene Haltung aller Beteiligten - also sowohl der Klärungshelfer:innen als auch der Parteien -, wie ein Klärungsgespräch endet. Der Mediator verpflichtet sich, keine vorgefassten Lösungen oder Präferenzen in den Prozess einzubringen und den Parteien die Freiheit zu lassen, selbstbestimmt und eigenverantwortlich eine Lösung für ihren Konflikt zu entwickeln. Auch die Parteien sind aufgefordert, ergebnisoffen in den Prozess zu gehen, das heißt, bereit zu sein, von ihren anfänglichen Positionen abzuweichen und neue Perspektiven sowie mögliche Lösungen in Betracht zu ziehen. Ergebnisoffenheit gewährleistet, dass alle Optionen gleichwertig betrachtet werden und sich die Lösung erst im Verlauf des Dialogs und der Verhandlungen herauskristallisiert. Diese Grundhaltung fördert das Vertrauen in den Prozess und unterstützt die Entwicklung kreativer und nachhaltiger Lösungen.
Wenn die Beteiligten in einer Mediation nicht ergebnisoffen sind, besteht die Gefahr, dass der Prozess festgefahren wird und keine konstruktive Lösung erreicht wird. Dies kann dazu führen, dass die Mediation scheitert und der Konflikt ungelöst bleibt oder sogar eskaliert.
Gefahr der mangelnden Ergebnisoffenheit:
- Verhärtete Positionen: Wenn die Parteien an ihren ursprünglichen Positionen festhalten und nicht bereit sind, alternative Lösungen in Betracht zu ziehen, bleibt wenig Raum für Kompromisse oder kreative Lösungen. Dies kann zu einer Pattsituation führen, in der keine Einigung möglich ist.
- Erosion des Vertrauens: Wenn eine oder beide Parteien spüren, dass der andere nicht ergebnisoffen ist, kann dies das Vertrauen in den Prozess und den Mediator untergraben. Dies verringert die Bereitschaft zur Zusammenarbeit und erschwert den Dialog.
- Eingeschränkte Lösungsvielfalt: Ohne Ergebnisoffenheit werden mögliche, innovative Lösungen von vornherein ausgeschlossen. Dies beschränkt den Lösungsraum und reduziert die Chance, eine Lösung zu finden, die für alle Parteien akzeptabel ist.
Beispiel:
Stellen Sie sich eine Mediation zwischen zwei Geschäftsführern eines Unternehmens vor, die über die Zukunft einer gemeinsamen Produktlinie streiten. Einer der Geschäftsführer besteht darauf, dass die Produktlinie aus Kostengründen eingestellt werden muss, während der andere darauf beharrt, dass sie unbedingt beibehalten werden muss, um das Image der Firma zu schützen. Wenn beide an diesen fixen Positionen festhalten und nicht bereit sind, andere Möglichkeiten wie eine Neupositionierung der Produktlinie oder eine Umstrukturierung in Betracht zu ziehen, wird die Mediation wahrscheinlich scheitern. Die festgefahrenen Positionen verhindern eine offene Diskussion über alternative Lösungen, was die Chancen auf eine einvernehmliche Einigung erheblich schmälert.
In einem solchen Fall könnte eine ergebnisoffene Haltung dazu führen, dass beide Geschäftsführer alternative Wege erkunden, z. B. eine Teilfortführung des Produkts mit modifizierter Strategie oder den Einstieg in eine Partnerschaft, die Kosten und Risiken teilt. Dies könnte zu einer für beide Seiten akzeptablen Lösung führen, die den Konflikt nachhaltig löst.
Wenn Forderungen als Gefallen daher kommen - Die feinen Nuancen von Appellen in der Kommunikation
„Könntest du mir bitte helfen?“ Auf den ersten Blick scheint das eine höfliche Bitte zu sein. Doch ist es wirklich eine Bitte – oder steckt dahinter eine Erwartung, der man kaum entkommen kann? Im täglichen Miteinander begegnen uns bewusst oder unbewusst (un)klar formulierte Wünsche ständig. Oft entscheiden feine Nuancen darüber, ob eine Aussage als echte Bitte, höfliche Aufforderung oder als versteckte Anweisung verstanden wird.
Eine ernst gemeinte Bitte zeichnet sich dadurch aus, dass sie dem Gegenüber Entscheidungsfreiheit ohne negative Konsequenzen gewährt. Der Tonfall und die Wahl der Worte vermitteln, dass eine Unterstützung willkommen ist oder benötigt, aber nicht eingefordert wird: "Könntest du mir bitte bei der Vorbereitung helfen?". Anders verhält es sich bei der höflichen Anweisung, die oft mit einem „bitte“ beginnt, jedoch keine Wahlmöglichkeit lässt. „Bitte reichen Sie mir die Unterlagen bis morgen ein!“ ist ein solches Beispiel. Die sendende Person äußert eine klare Erwartung, die zwar höflich formuliert, aber verbindlich gemeint ist.
Versteckte Appelle, wie „Es wäre wirklich toll, wenn du dich darum kümmern könntest.“, lassen zwar Raum für Interpretationen, können jedoch gerade dadurch unausgesprochen Druck aufbauen. Ähnlich verhält es sich mit strategischen Bitten, die scheinbar Freiwilligkeit suggerieren, jedoch klare Erwartungen transportieren, etwa: „Können wir uns darauf einigen, dass diese Aufgabe bis Freitag erledigt wird?“
David Lauer beschreibt in seinem philosophischen Wochenkommentar eine interessante Beobachtung: die "verdeckte Aufforderung im höflichen Gewand": "Stellen Sie Ihr Tablett gerne hier wieder ab!", ist eine solche. Besonders in Dienstleistungs- oder Arbeitsumfeldern wird das Wörtchen "gerne" offenbar häufig genutzt, um den Eindruck von Kundenorientierung zu erzeugen. Indem die Erwartung nicht klar ausgesprochen wird, kann bei Empfänger*innen ein unangenehmer Druck entstehen. Die implizite Botschaft lautet: „Ich erwarte, dass Sie das tun, aber ich sage es nicht direkt.“
Einerseits mögen sich Menschen durch solche Formulierungen weniger stark bevormundet fühlen, da sie im Tonfall freundlich wirken. Erkennen Empfänger*innen jedoch eine kaschierte Aufforderung oder sogar eine Verantwortungsverlagerung, könnten sie sie als manipulativ empfinden. "Hier sollen Zumutungen als Segnungen verkauft werden", spitzt David Lauer argumentativ zu.
Das Bewusstsein über die Wirkung der Worte ist besonders am Arbeitsplatz wichtig. Wir profitieren davon, wenn wir klar entscheiden, ob wir eine Bitte äußern oder eine Anweisung geben – und dies transparent machen. Wir erhöhen die Wahrscheinlichkeit, eine gewünschte Wirkung zu erzielen. Wir vermeiden nicht nur Missverständnisse - wir schonen sogar die Beziehung.
Hier geht es zu unserem Hör-Tipp im Deutschlandfunk Kultur. Das Feuilleton im Radio https://lnkd.in/eYupSGRP
Die Kunst der respektvollen Konfrontation - Grenzen aufzeigen ohne die Beziehung zu belasten
Respektvolle Konfrontation – zwei Worte, die auf den ersten Blick gegensätzlich erscheinen mögen, aber in der Praxis untrennbar miteinander verbunden sind. Sie beschreibt die Fähigkeit, schwierige Themen und Kritik offen und klar anzusprechen, ohne dabei die Beziehungsebene unnötig zu gefährden.
Und hier liegt oft ein Stolperstein: Stellen wir uns vor, eines unserer Teammitglieder gibt wiederholt und als einzige*r verspätet wichtige Ergebnisse ab. Diese Person nimmt sich die Freiheit, trotz angespannter Terminlage die Deadline eigenmächtig zu verschieben, ohne den Rest des Teams davon in Kenntnis zu setzen oder um ein (Ein-)Verständnis zu bitten.
Innerlich entsteht in Ihnen vermutlich eine Spannung, die sich bei wiederholter Ausschöpfung dieser Freiheitsgrade zu einem echten Groll entwickeln kann. Fühlen wir uns durch das Verhalten nicht korrekt behandelt (ignoriert, missachtet, ausgenutzt o.ä.), schleicht sich die erlebte Beziehungsverletzung oft in den Unterton. Allen guten Vorsätzen zum Trotz lassen wir uns dann vielleicht zu folgender Eingangsbestätigung verleiten: "Wird ja auch langsam mal Zeit!" oder "Bei dir wird die Post wohl auch nur einmal in der Woche gebracht?".
Dieses kleine, spontane Beziehungsgewitter sorgt für eine Entladung bei der Person, die sich nicht korrekt behandelt fühlt. Oft setzt zunächst ein Spannungsausgleich ein. Allerdings fühlt sich nun das Gegenüber vermutlich angegriffen - die guten Gründe für das Verschieben des Termins werden nicht anerkannt. Wahrscheinlich wird das Gegenüber jetzt an einer Stellungnahme feilen, um den bei ihr angesammelten Groll zu adressieren. Dass das Gespräch zu keiner guten Lösung führt, können wir uns vorstellen.
Starten wir stattdessen den Versuch, eine beziehungsverträgliche Auseinandersetzung zu beginnen: Ziel ist es, die Gegensätzlichkeiten bzw. wahrgenommenen Beeinträchtigungen so zu thematisieren, dass die Kritik deutlich wird, ohne dass die Beziehung zusätzlichen Schaden erleidet. Hierfür dient das Kommunikationsquadrat als Hilfe - um die Beziehungsebene zu entlasten, wird der Schwerpunkt der konfrontierenden Nachricht auf die Sachseite, die Selbstkundgabe sowie den Appell verlagert.
Eine respektvolle Konfrontation könnte nun so lauten:
„Mir ist aufgefallen, dass die letzten Deadlines nicht eingehalten wurden und die Ergebnisse später als verabredet von dir abgegeben wurden. Ich gehe davon aus, dass du hierfür gute Gründe hattest und dir nicht klar war, dass dadurch bei mir enormer Zeitdruck entsteht. Denn ohne deine Auswertung, kann ich mit der Ableitung der Schlussfolgerungen nicht beginnen. Ich würde gerne verstehen, woran das liegt, dich aber unabhängig davon bitten, die gemeinsam gesteckten Fristen ab jetzt als verbindlich zu anzusehen."
Wenn Schweigen die Antwort ist
Plötzliche Funkstille. Eine Freundschaft, die ohne Vorwarnung endet. Ein Kollege, der auf einmal nicht mehr antwortet. Eine Geschäftspartnerin, die sich zurückzieht. Kontaktabbrüche sind ein Phänomen, das viele von uns erlebt haben – ob im privaten oder beruflichen Kontext. Zurück bleiben wir oft mit der ungeklärten Frage: Was ist passiert? Was bringt Menschen dazu, den Kontakt zu canceln?
Unserer Erfahrung nach handeln Menschen aus einer inneren Not heraus. Die Gründe sind vielschichtig und komplex: So können Konflikte Menschen überfordern. Ein Rückzug scheint der einfachste Weg, schnell unangenehmen Gefühlen zu entkommen. Vielen Menschen fällt es schwer, sich Fehler einzugestehen - noch schwieriger wird es, mit einer anderen Person darüber zu sprechen. Leben Menschen in Beziehungen, in der sie das Gefühl haben, schlecht behandelt zu werden (z. B. abgewertet oder bedroht), erobern sie sich mit einem Kontaktabbruch ein Gefühl von Kontrolle und Würde zurück.
In jeder dieser Situationen spüren Menschen durch die Beendigung einer Beziehung eine große, emotionale Erleichterung. Verletzungen heilen jedoch nicht vollständig ab, sie bilden Narben und schmerzen auch noch in der Erinnerung an die Situation.
Der Weg zurück wird mit dem Verlauf der Zeit schwieriger - er ist aber nicht unmöglich. In jedem Fall braucht es Mut, den Faden wieder aufzunehmen. Folgende Schritte können dabei helfen:
Reflektieren: Warum habe ich den Kontakt abgebrochen? Was habe ich erlebt, was schmerzhaft oder grenzüberschreitend war? Was waren meine inneren Reaktionen? Wie habe ich mich selbst abgrenzt und "verhalten"?
Einladung aussprechen: "Wahrscheinlich bist du überrascht, dass ich mich nach längerer Zeit wieder melde. Ich würde dir gerne erklären, weshalb ich mich zurückgezogen habe und ich wäre froh, wenn du mir dazu die Gelegenheit gibst."
Verantwortung übernehmen: Für ein Konfliktgegenüber ist es wichtig, den Auslöser für den Abbruch zu verstehen. Was genau ist vorgefallen, wie hat sich eine Person behandelt gefühlt, wie hat sie innerlich reagiert? Ein Gespräch über die Hintergründe und mögliche sensible Reaktionen eröffnet dem Gegenüber eine neue Sichtweise. Mit diesen Informationen kann es sich innerlich auch noch einmal neu aufstellen.
Neuanfang zulassen: Vergangenes kann man nicht ungeschehen machen, aber man kann es gemeinsam reflektieren. Um einen Neufangang gestalten zu können, hilft es, die eigene Verantwortung an den Ereignissen zu benennen. Was kann man dazu beitragen, in ähnlichen Situationen zukünftig anders zu reagieren? Welche Wünsche (manchmal auch Bedingungen) hat die Person an das Gegenüber? Wie ist also die eigene "Gebrauchsanweisung"?
Eine Überforderung oder auch Angst einzugestehen, erfordert Mut. Den Faden wieder aufzunehmen, kann nicht nur Beziehungen retten, sondern auch eine Chance bieten, selbst wachsen. Selbst wenn der Neuanfang zunächst verwehrt bleiben sollte.
Der vergessene Verbündete: Warum wir Körper und Seele im Alltag oft übergehen
Unser Alltag ist häufig genug geprägt von Termindruck, ständiger Erreichbarkeit und der effizienten Bearbeitung von Aufträgen. Wir versuchen den Spagat zwischen Freund*innen, Familie und der Arbeit zu schaffen und uns und unsere Gesundheit dabei nicht aus den Augen zu verlieren.
In diesem Sinne nutzen wir unseren Körper oft wie ein funktionierendes Werkzeug – als ein Mittel, um Aufgaben zu bewältigen und durch den Tag zu kommen. Er soll uns von A nach B bringen, leistungsfähig und belastbar sein, und am besten möglichst wenig Ansprüche stellen. Schmerzen, Müdigkeit oder Unwohlsein lassen sich eine ganze Zeit lang ignorieren. Schmerztabletten lösen kurzfristig das eine oder andere Zipperlein. Kaffee erlaubt uns eine längere Konzentrationsfähigkeit.
Dabei vergessen wir, dass der Körper mehr ist als ein mechanisches Instrument. Er ist ein lebendiger Teil von uns, der unsere inneren Zustände widerspiegelt und wertvolle Hinweise auf unser Wohlbefinden gibt. Doch wenn wir ihn als „stummes Alltagswerkzeug“ betrachten, verlieren wir den Zugang zu diesen Signalen.
Besonders in Konfliktsituationen fällt uns diese recht unsensible "Behandlung" von uns selbst merklich auf die Füße. Stress, ungelöste Spannungen und emotionale Belastungen können sich als körperliche Symptome manifestieren: ein Druckgefühl in der Brust, ein Kloß im Hals, Verspannungen im Rücken. Der Körper wird zum Resonanzraum für die inneren Kämpfe, die wir austragen – sei es mit anderen oder mit uns selbst.
Wir könnten und sollten ihn also viel mehr als Verbündeten betrachten. Er spricht oft klarer als unser Verstand, was wir wirklich brauchen. Das leise Ziehen im Magen oder der Druck im Brustkorb, wenn wir „Ja“ sagen, obwohl wir „Nein“ meinen, sind deutliche Hinweise, die uns den Weg zeigen können.
In der Mediation nutzen wir allerdings oft "nur" die Worte, um Menschen besser zu verstehen: Was wurde gesagt? Wie wurde es verstanden? Welche Bedürfnisse stehen dahinter? Gleichzeitig erleben wir, wie schwer es für Menschen sein kann, eigene Bedürfnisse wahrzunehmen und sie auszusprechen.
Wenn wir doch mit dem Körper einen "eingebauten", perfekt funktionierenden Resonanzraum für unsere Seele haben, könnten wir dann nicht in einer Mediation mit Hilfe der körperlichen Marker den Weg zu den unausgesprochenen Gefühlen und verborgenen Bedürfnissen wieder erleichtern und festgefahrene Konflikte auflockern?
Wir laden Sie heute sehr herzlich ein, mit diesen Formulierungen und kleinen Interventionen die Aufmerksamkeit in angespannten Gesprächssituationen bewusst auf Körpersignale zu lenken und diese in ein Konfliktgespräch einzubinden.
Warum Lästern mehr als nur Gerede ist
Es ist schnell passiert: Nach einem Meeting trifft sich das Team in der Kaffeeküche. Eine Kollegin hat eine Idee präsentiert, die einige für unrealistisch halten. „Das wird doch nie klappen“, sagt einer. Eine andere fügt hinzu: „Die will sich nur profilieren.“
Was hier wie ein harmloser Austausch erscheint, kann leicht kippen. Die Frustration loswerden, sich über die eingenommene Perspektive versichern, die eigenen Wertemaßstäbe und Normen überprüfen – all das mögen nachvollziehbare Gründe für ein vertrauliches Gespräch unter einigen wenigen Mitarbeitenden sein. Doch sobald die Kompetenz oder Absichten der Kollegin in einem solchen Setting infrage gestellt werden, sprechen wir von "Lästern".
Wir erreichen die Stufe des "Lästerns" tatsächlich schneller als wir denken. Wir suchen den vertrauten Rahmen oft in alltäglichen Situationen, tauschen uns kurz aus und fühlen uns bestätigt. Kaum jemand ist frei davon, über andere zu sprechen.
Lästern kann die Funktion eines sozialen Klebstoffs übernehmen. Es hilft, sich in einer Gruppe als zugehörig zu empfinden und sich der eigenen Stellung in dieser Gruppe zu versichern. Mitarbeitende stärken sich z.B. gegenseitig gegenüber einer Führungsperson und erleben sich (wieder) auf "Augenhöhe", wenn sie sich absprechen und auf ein Verhalten oder eingen Vorschlag einigen, wenn sie sich gegenseitig als "richtig" bestärken in ihrer Positionierung o.ä. Durch diesen Abgleich kann ein "Wir-Gefühl" geschaffen werden, das zur "sozialen Identität" einer Gruppe von Personen beiträgt.
Die Grenzen zum Mobbing sind allerdings fließend. Fehlinformationen über Kolleg*innen und verzerrte Wahrnehmungen von Ereignissen verbreiten sich schnell und sind schwer zu korrigieren. Langfristig können durch einen unbedarften Austausch über persönliche Hintergründe anderer Menschen nicht nur Beziehungen, sondern auch die Unternehmenskultur nachhaltig geschädigt werden.
Was sich in einem eher ausweichenden Gesprächsverhalten zeigt, sind zunächst einmal Bedenken, kritische Themen und Konflikte im Team direkt zu besprechen. Die Konfliktvermeidung hat damit eine Signalfunktion für die eigene Verantwortung als Teammitglied ebenso wie für die Führungsperson. Sie gibt Hinweise auf die derzeitige Team- bzw. Organisationskultur. Und sie zeigt Handlungsbedarf, wenn sich negative Konsequenzen spürbar im Team auswirken.
Was sind Alternativen zu einem Gespräch ohne die betreffende Person?
Ehrlich und direkt mit ihr zu sprechen – das schafft Vertrauen.
Zivilcourage zeigen – abwertende Gespräche bewusst unterbrechen.
Konflikte offen ansprechen – respektvoll und auf Augenhöhe.
Bewusstheit und Reflektion sind entscheidend. Ein offener und respektvoller Umgang miteinander – auch in schwierigen Situationen – hilft, die Grenzen zwischen kritischem Austausch und destruktivem Lästern klar zu ziehen.
People Pleasing am Arbeitsplatz – eine Stärke mit Schattenseiten
In vielen Teams und Organisationen wird Harmonie als erstrebenswerter Wert betrachtet – der Wunsch nach einem reibungsfreien Miteinander befördert eine Arbeitskultur, in der Menschen aufeinander achten und versuchen, den Bedürfnissen und Erwartungen der Kolleg*innen gerecht zu werden.
Menschen, die sich mehr als andere für das Team einsetzen und stets darauf bedacht sind, in gutem Kontakt mit allen zu bleiben, werden oft als besonders wertvoll wahrgenommen. Sie sind einfühlsam und hilfsbereit, fleißig, übernehmen Verantwortung, und sorgen dafür, dass Prozesse reibungslos ablaufen. Durch ihre Fähigkeit, sich schnell an verschiedene Menschen und Situationen anzupassen, tragen sie zu Entlastung anderer bei und schaffen ein positives Arbeitsklima – ein Gewinn für jedes Team.
Diese Fürsorge kann allerdings so weit gehen, dass die eigenen Bedürfnisse und Werte aus dem Blick geraten und die persönlichen Grenzen zugunsten der Zustimmung oder des Wohlbefindens im Team zurückgestellt werden.
Liegt dem starken Engagement für das Team zudem der Wunsch zugrunde, Bestätigung und Akzeptanz von anderen zu erhalten und deshalb Konflikte mit allen Mitteln zu vermeiden, spricht man vom sogenannten #PeoplePleasing. Dieser relativ neue englische Begriff bedeutet übersetzt soviel wie „Menschen zufrieden stellen / Menschen gefallen wollen“.
So wertvoll dieses prosoziale Verhalten auf den ersten Blick erscheint, so ist es ein „Zuviel des Guten“ und birgt Herausforderungen – sowohl für Menschen mit Tendenz zum Pleasen als auch für das Team:
Wer viele Aufgaben übernimmt, entlastet zwar das Team –verhindert jedoch auch, dass Kolleg*innen sich einbringen. Das Team macht sich abhängig von einer Person, und es entsteht ein Ungleichgewicht.
Wer nie „Nein“ sagt, signalisiert, dass er oder sie alles schaffen kann – was langfristig zu unrealistischen Anforderungen und Überlastung mit dem Risiko eines Burnouts führen kann.
Betroffene kommunizieren selten, was sie selbst brauchen. Das führt zu Missverständnissen, die Unzufriedenheit steigt auf beiden Seiten.
Für Führungskräfte hat #PeoplePleasing zwei Seiten: Führen bedeutet unter anderem Entscheidungen zu treffen – das kann dann schwer fallen, wenn der Wunsch nach Harmonie zu stark ausgeprägt ist. Studien zeigen, das gute Führungskräfte einerseits sensibel reagieren aber auch Umnstimmigkeiten aushalten und Konflikte ansprechen können sollten.
Kurzfristig kann People Pleasing also dazu führen, dass Beziehungen stabil erscheinen und Konflikte vermieden werden. Langfristig können jedoch erhebliche negative Folgen entstehen.
Fazit: Harmonie ist wertvoll, aber nicht um jeden Preis. In einem idealen Team gibt es Unterschiedlichkeit und Hilfsbereitschaft. Gleichzeitig die Bereitschaft, Spannungen auszuhalten und durch offene Kommunikation und klare Positionen das Vertrauen und die psychologische Sicherheit zu stärken.
Schweigen: Wenn Worte nicht genug sind – Die stille Kraft der Kommunikation
Wir sind umgeben von Worten – mündlich, schriftlich, fröhlich laut gesungen und leise geflüstert, fast unterdrückt.
Wir sind „der Worte mächtig“. Wir können „den Mund aufmachen“, „mit Engelszungen“ auf unser Gegenüber einwirken, wenn uns etwas wichtig ist, uns dabei „um Kopf und Kragen reden“ oder „jedes Wort auf die Goldwaage legen“, wenn wir verletzlich sind – vielleicht auch „das Eis brechen“ in schwierigen Situationen.
Doch manchmal „verschlägt es uns auch die Sprache“ oder wir erstarren in „einem stummen Schrei“.
Kommunizieren wir etwa auch, wenn wir nicht reden? Schweigen ist ein wirkungsvolles Werkzeug in der Kommunikation – vielschichtig, tiefgründig und oft wird es missverstanden.
Wann schweigen wir also und welche Wirkung entfaltet es auf uns und unser Gegenüber, wenn die Worte versiegen?
Die verschiedenen Arten von Schweigen
Reflexionsschweigen: Damit gewinnen wir einen Moment der Ruhe, um Gedanken zu ordnen und auf das Gesagte innerlich zu reagieren. Es zeigt Nachdenklichkeit und kann Dialoge auf eine tiefere Ebene führen.
- Emotionales Schweigen: Es kann ein Ausdruck starker Gefühle sein, die mit Worten nicht zu beschreiben sind – von Trauer über Wut bis hin zu überwältigender Freude. Möglicherweise sind die Gefühle noch nicht spruchreif oder sogar überfordernd wahrzunehmen.
- Strategisches Schweigen: Eine bewusst eingesetzte Stille, z. B. in Verhandlungen, kann ein kommunikativer Kunstgriff sein, um der eigenen Position Nachdruck zu verleihen oder aber beim Gegenüber eine Reaktion zu provozieren, das erste Verhandlungsangebot abzugeben, den ersten Schritt aufeinander zuzugehen.
- Intimitätsschutz: Menschen, die sich nicht belasten wollen oder sich für ein Verhalten schämen, schweigen. Möglicherweise haben sie den Eindruck, den Ansprüchen an einen Gedankenaustausch nicht genügen zu können und schweigen lieber, bevor sie sich blamieren.
- Beziehungsorientiertes Schweigen: Eine stille Verbindung zwischen Menschen, die oft mehr sagt als Worte – wie das Schweigen in vertrauter Zweisamkeit.
- Abwehrendes Schweigen: Ein Schutzmechanismus, der Distanz schafft, Konflikte vermeiden oder überwältigende Situationen kontrollieren will. Vielleicht möchte sich der*die Betreffende auch deutlich von der Haltung des Gegenübers distanzieren.
Schweigen kann Verwirrung stiften, Unbehagen erzeugen oder als Raum für Reflexion wirken. Es kann Macht demonstrieren oder Nähe schaffen. Oft fühlen sich Menschen von Schweigen herausgefordert. Sie denken, reagieren zu müssen, um die Situation im Griff zu haben.
Was wäre ein vielleicht passender Umgang?
- Wahrnehmen statt bewerten: Nicht jedes Schweigen ist negativ – es kann ein wertvolles Signal sein.
- Kontext berücksichtigen: Beziehung, Emotionen und Situation beeinflussen die Bedeutung von Schweigen.
- Raum lassen: Manchmal ist Schweigen genau das, was Kommunikation braucht, um echt und authentisch zu bleiben.
"Herzlich willkommen in meinem Fettnäppfchen" - Triggerpunkte in Konflikten
Triggerpunkte sind emotionale Reaktionsmuster oder Empfindlichkeiten, die in Konfliktsituationen aktiviert werden können. Sie entstehen häufig aus individuellen Erfahrungen, Wertehaltungen oder Verletzungen und können dazu führen, dass Menschen besonders empfindlich auf bestimmte Aussagen, Verhaltensweisen eines Gegenübers oder Situationen reagieren. Das Verständnis von Triggerpunkten ist essenziell für die Konfliktbewältigung, da sie oft unbewusst die Dynamik eines Konflikts bestimmen.
Viele Triggerpunkte entwickeln sich in der Kindheit, wenn grundlegende Bedürfnisse wie Sicherheit, Anerkennung oder Zugehörigkeit nicht ausreichend erfüllt wurden. Zum Beispiel kann ein Kind, das häufig kritisiert wurde, als Erwachsener besonders empfindlich auf Kritik reagieren.
Auch Werte, Normen und Kommunikationsmuster, die in der Herkunftsfamilie oder Kultur vermittelt wurden, prägen individuelle Triggerpunkte. Kommt ein Mensch aus einer konfliktvermeidenden Kultur, reagiert er auf lautes oder konfrontatives Verhalten mit innerer Lähmung und / oder Rückzug.
Oft geschieht die Aktivierung dieser alten, meist sehr schmerzhaften Erinnerungen, bevor die bewusste Wahrnehmung eingreifen kann. Deshalb wirken Triggerpunkte so plötzlich und intensiv:
Die Bemerkung oder das Verhalten einer anderen Person drückt mit Wucht auf eine alte, nur schlecht verheilte Wunde. Vergleichbar mit einer körperlichen Verletzung reißt auch eine seelische Wunde immer wieder auf, wenn an ihr gerüttelt wir. Wir reagieren dünnhäutig, viel stärker als wir es selbst eigentlich wollten. Das geschieht, weil wir nicht nur auf die aktuelle Kritik und die Situation reagieren; wir spüren die ganze Wucht des früheren Schmerzes. Wir werden rasend wütend und reagieren "wie von der Tarantel gestochen" oder "wutschäumend".
Bemerken wir eine solche überstarke Reaktion bei uns oder anderen, können wir sicher sein, einen seelischen Fettnapf erwischt zu haben.
Warum ist dieses Wissen hilfreich?
Menschen neigen dazu, alte Konfliktdynamiken unbewusst zu wiederholen. Wurde ein:e Kolleg:in in der Kindheit oft übergangen, wird er:sie auch im Erwachsenenalter hypersensibel auf Situationen reagieren, in denen er:sie sich übergangen fühlt.
Es kann sich auf eine paradoxe Art eine Art Sehnsucht entwickeln, dieses negative Gefühl immer wieder spüren zu wollen. So entsteht in manchen Situationen in jedem Kontakt die Erwartung, dass sich eine frühere negative Erfahrung wiederholt. In der Konsequenz bedeutet dies, dass eine vorverletzte Person bestimmte Verhaltensweisen anderer als Bestätigung ihrer Ängste wahrnimmt.
Sind in einem Team mehrere Personen von einer solchen inneren Dynamik betroffen, entfaltet sich z.B. angesichts der Verteilung von Ressourcen oder der Vergabe interessanter Rollen und Aufstiegschancen oder sogar der vermeintlich simplen sachlichen Planung der Regelung von Urlauben und Auszeiten eine explosive Teamdynamik.
Mut zur Versöhnung: It takes two to tango!
Ein gelungener Versöhnungsprozess erfordert Mut und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Er geht weit über eine einfache und schnelle Entschuldigung hinaus. Sein Ziel ist es, tiefere Verletzungen zu heilen, Vertrauen wiederherzustellen und eine erneuerte Beziehung zu ermöglichen. Eine wesentliche Gelingensbedingung ist es dabei, sich mit den eigenen Gefühlen und den Bedürfnissen und Gefühlen des Gegenübers auseinanderzusetzen.
Trotz der Chancen, die in einem Versöhnungsprozess stecken, ist das Vermeiden von Konflikten und das Verdrängen von Verletzungen weit verbreitet. Viele Menschen hoffen, unangenehme Erfahrungen ausblenden zu können, um emotionalen Druck, Schuld- oder Schamgefühle zu verringern. Häufig besteht die Angst, dass eine offene Auseinandersetzung die Situation verschlimmern könnte. Stattdessen wird Harmonie vorgetäuscht, um das Risiko einer Eskalation zu vermeiden. Kurzfristig mag diese Strategie entlastend wirken. Langfristig führt sie jedoch oft zu innerem Stress und ungelösten Konflikten, die das Vertrauen und die Beziehung belasten.
Lassen sich die Beteiligten auf ein Gespräch ein, sind sowohl die verletzte Person als auch an die schuldtragende mit Herausforderungen konfrontiert:
Für die schuldtragende Person ist oft der schwerste Schritt, sich einzugestehen, dass sie eine andere Person durch eine Äußerung oder Handlung verletzt hat. Ein klares Eingeständnis wie: „Ich habe dich verletzt, und das war falsch“ signalisiert, dass das Problem ernst genommen wird. Eine echte Entschuldigung erfordert nicht nur Bedauern, sondern auch den Willen, die Verletzung ernsthaft aufzuarbeiten und zukünftige Wiederholungen zu vermeiden.
Auf der anderen Seite steht die verletzte Person vor der Herausforderung, den eigenen Schmerz zu verarbeiten und sich auf einen möglichen Vergebungsprozess einzulassen. Vergebung bedeutet jedoch nicht, das Geschehene zu vergessen oder zu verharmlosen. Sie ist vielmehr eine bewusste Entscheidung, sich von der Last negativer Gefühle zu befreien und das Geschehene in die eigene Lebensgeschichte zu integrieren.
Beide Seiten müssen bereit sein, aus der Erfahrung zu lernen und ihr Verhalten anzupassen. Für die schuldtragende Person bedeutet das, Verhaltensweisen zu ändern, die den Konflikt verursacht haben. Für die verletzte Person kann es bedeuten, negative Gefühle wie Groll loszulassen.
Versöhnung und Vergebung erfordern eine Grundhaltung von Ehrlichkeit, Offenheit und der Bereitschaft, sich auf einen gemeinsamen Heilungsprozess einzulassen. Der erste Schritt ist oft der schwerste: das Eingeständnis, dass eine Verletzung stattgefunden hat, und die Bereitschaft, sich ehrlich und respektvoll damit auseinanderzusetzen. Dass dies sogar in gesellschaftlichen und politischen hocheskalierten Konflikten gelingen kann, zeigt dieser beeindruckende Film mit dem Titel "Können aus Feinden Freunde werden?" (Link in den Kommentaren).
https://www.arte.tv/de/videos/115519-005-A/koennen-aus-feinden-freunde-werden/
Werte vertreten, Meinungen respektieren: Der Balanceakt zwischen Haltung und Vielfalt in Organisationen
In Zeiten, in denen gesellschaftliche und politische Themen zunehmend auch den Arbeitsplatz erreichen, stehen Organisationen und Mitarbeitende gleichermaßen vor einer Herausforderung: Wie kann Haltung angesichts von Themen wie Themen Diversität, Nachhaltigkeit oder sozialer Gerechtigkeit gezeigt werden, ohne den Raum für unterschiedliche Meinungen zu verlieren?
Eine öffentliche Positionierung setzt zunächst einmal klare Signale für die eigenen Mitarbeitenden und in die Gesellschaft hinein. Sie signalisiert, welche Werte in einer Organisation akzeptiert werden und wann sich Menschen außerhalb des tolerierten Rahmens bewegen. Wie reagieren Mitarbeitende, die andere Ansichten haben, darauf? Wie verändert sich die Kommunikationskultur im Team? Und welche Konflikte sind zu erwarten?
Eine klar kommunizierte Wertebasis kann Orientierung bieten und eine Grundlage für respektvolle Diskussionen schaffen. Sie kann Mitarbeitende ermutigen, sich in einem akzeptierten Rahmen authentisch zu zeigen. Sie fühlen sich gestärkt, von der Organisation sichtbar unterstützt und entfalten eine starke Motivation für die eigene Tätigkeit.
Mitarbeitende, die eine Grundhaltung haben, die sich vom etablierten Wertekanon unterscheidet, erleben oft innere Konflikte. Die Angst vor sozialer Ausgrenzung und beruflichen Nachteilen kann dazu führen, dass sie ihre Ansichten in Meetings eher zurückhalten und der Mehrheit zustimmen, als mit einer Äußerung zu polarisieren und damit „aus dem Rahmen“ zu fallen. Dadurch ändern sie aber nicht zwangsläufig ihre Einstellung.
Eine starke Werteausrichtung kann dadurch auch zu einer Art "Echokammer" führen, in der abweichende Meinungen nicht mehr gehört werden. Es könnte sein, dass Konflikte auf der Werteebene eher unterdrückt werden, anstatt sie produktiv zu bearbeiten. Solange Menschen ihre Meinung äußern, besteht die Chance, sie im Rahmen einer gut moderierten und begleiteten Diskussion zu erreichen und ggf. Impulse für eine Reflexion der Haltung setzen zu können.
Eine klare Wertehaltung kann also Konflikte im Team entschärfen, indem mit ihr Verhaltensstandards gesetzt werden, die wiederum korrigierend wirken und ggf. Konsequenzen vorsehen. Andererseits können sich Konflikte verschärfen, wenn unterschiedliche Wertvorstellungen als „hier nicht passend“ etikettiert werden. Die Konflikte verschieben sich dann auf sachliche Themen – wie z.B. die zähe Einsatzplanung, die Verweigerung von Zusammenarbeit im Team, Erschwernisse in der Übergabe usw.
Unser Fazit: Werte geben eine wichtige Orientierung. Zugleich sollten sie als Grundlage für Dialog und Reflexion genutzt werden, um Positionen und Menschen weiterzuentwickeln. Organisationen können hier bewusst gestalten: Sie haben die Macht, eine Kultur zu schaffen, die Authentizität und Diversität gleichermaßen schätzt, ohne die eigene Wertebasis aufzugeben.
Zuhören, wenn wir es am wenigsten wollen?
Bei aller Freude an der Unterschiedlichkeit von Menschen lassen sich Konflikte nicht schönreden: Sie gehen unter die Haut. Sie können den Beteiligten schlaflose Nächte bereiten, weil sie an alten, wunden Punkten rühren. Sie sind begleitet von unangenehmen Gefühlen, wie z. B. Traurigkeit, Angst vor Verlust des anderen, Hilflosigkeit, Ohnmacht oder Verzweiflung und Wut. Nicht immer werden sie deshalb mit Freude ausgetragen und geklärt.
Einen Konflikt anzusprechen, kann Beziehungen und die Atmosphäre des Miteinanders verbessern; allerdings können sich die Verhältnisse zwischen den Beteiligten auch merklich verschlechtern. Denn jede:r von uns ist verletzlich und bringt (alte) entwicklungsgeschichtliche Kerben in (neue) Beziehungen ein.
Kritik – insbesondere, wenn sie nicht konstruktiv formuliert, sondern als Vorwurf vorgebracht wird – fällt nicht selten auf einen verwundbaren bzw. verwundeten Boden. Denken wir an eine grundlegende Fertigkeit im Sinne der Konfliktfähigkeit ist das "Aushalten und Einstecken" von Vorwürfen und Vorhaltungen, Konfrontationen mit den eigenen schwierigen Seiten und (un-)bewussten Verletzungen durch ein Gegenüber eine wichtige Kompetenz.
Einem Menschen, der mit einem halbwegs gesunden Selbstwertgefühl ausgestattet ist, gelingt es leichter, sich mit schwierigen Gesprächsinhalten, Kritik und Untertönen konfrontiert zu sehen, als eine Person, die massiv und multipel vorverletzt ist.
Die bewusste Auseinandersetzung mit den individuellen Triggerpunkten gibt den Beteiligten den Handlungsspielraum zurück und vermindert (weitere) Erschütterungen des Selbstbildes.
Der erste Schritt besteht darin, gnädig mit sich selbst umzugehen und stehenzulassen, dass man selbst fehlbar ist sowie ungeliebte und eventuell verdrängte Verhaltensweisen, die man selbst als schwierig erlebt oder die einem als unangenehm zurückgemeldet wurden, als die eigenen zulässt. Ist dies gelungen, so lässt sich bei Kritik und Vorwürfen gelassener sagen: „Ja, das stimmt, was du mir vorwirfst. Ich habe da wirklich schnippisch reagiert...“
Aus einer inneren Haltung der Akzeptanz von eigenen Schwächen heraus fällt es leichter, dem Konfliktgegenüber gelassen zuzuhören und die Konfliktgeschichte aus dessen Perspektive zu betrachten, ohne sich permanent angegriffen zu fühlen oder sich verteidigen zu müssen. Friedemann Schulz von Thun spricht in diesem Zusammenhang auch von einer „Souveränität höherer Ordnung“, die oftmals im Verlaufe des Lebens erworben werden möchte.
Der Erfolg einer Mediation steht und fällt mit der Fähigkeit und der Bereitschaft, sich in die Perspektive der Streitbeteiligten hineinzuversetzen, sie vollumfänglich in ihrem Denken, Fühlen und Wollen zu verstehen. Wirkliches Einfühlen, wahrnehmen und vor allem gelten lassen, wie es einem Gegenüber in einer bestimmten, herausfordernden Situation geht, wird als Wertschätzung wahrgenommen und ist die Grundlage für neues Vertrauen ineinander.
Ein solch empathisches Zuhören verlangt allerdings sowohl den Konfliktbeteiligten, als auch den Mediator:innen einiges ab. Jede konfliktbeteiligte Person ist während des Zuhörens angehalten, sich mit den eigenen Gedanken und Gefühlen sowie Ansichten zurückzuhalten, während das Gegenüber über die eigenen Erlebnisse spricht – sondern lediglich zuzuhören und nachzufühlen, wie es der sprechenden Person geht.
Als Konfliktgegenüber sind wir zu jedem Zeitpunkt des Zuhörens verlockt, unsere Perspektive zu schildern oder uns zu erklären, warum wir so oder gehandelt haben oder was die Verhaltensweisen in uns ausgelöst haben und wie wir dementsprechend die Handlungen bewerten.
Als Freund:in, Kolleg:in oder Vorgesetzte:r möchten wir hilfreich sein, wir wollen zustimmen oder uns mitfühlend empören oder mitleiden. Oft wollen wir schnell die Situation für unser Gegenüber verbessern.
Klärungshelfer:innen bilden eine Brücke zwischen den Beteiligten. Für uns ist es besonders wichtig, vorurteilsfrei zuzuhören. Je ähnlicher eine Partei uns Mediator:innen ist, umso leichter ist es, sich einzufühlen. Umso eher könnten wir auch der Versuchung erliegen, eine Seite als sympathischer – in der Regel als ähnlicher – zu unserem eigenen Verhalten und Erleben zu empfinden sowie leichter übersetzende Worte zu finden für das Gesagte.
Alles das ist jedoch KEIN empathisches Zuhören. Empathie bedeutet, sich einzulassen auf die Erlebniswelt des Gegenübers, nachzuvollziehen wie sich das Gegenüber fühlt. Wir müssen nicht einverstanden sein, mit dem was wir hören, wir müssen und dürfen es nicht bewerten, wir müssen es zunächst noch nicht einmal lösen.
Was wir brauchen, um uns wirklich zu verstehen, sind diese fünf Zutaten für empathisches Zuhören:
Fähigkeit und Bereitschaft zum Perspektivwechsel
Vorurteilsfreies, wertfreies Zuhören
Wahrnehmung der Gefühle anderer und das Verständnis für diese Emotionen
Kommunikation, d. h. die Wiedergabe dessen, was wir vom Gegenüber verstanden haben, wie eine andere Person sich fühlt und das Finden passender Worte
Angemessene Distanz zum Gefühl behalten, um sich nicht selbst zu sehr mit dem Gefühl zu verbinden
Kein anderer Mensch sieht die Welt so wie wir. Unsere Perspektive, was wir wahrnehmen, wie wir das Wahrgenommene einschätzen und bewerten und zu welchen Entscheidungen wir letztlich kommen, ist höchstindividuell. Um zu verstehen, wie eine Situation entstanden ist (und wie sie letztlich deshalb auch lösbar oder veränderbar sein könnte) müssen wir empathisch zuhören.